Ein Szenario für die mobile Zukunft: "Die Batterie wird gewinnen."

Dr. Stefan Carsten ist Zukunftsforscher und Stadtgeograph. Er war Projektleiter in der Zukunftsforschung der Daimler AG und konzipierte dort neue Mobilitätsdienste wie Car2Go und Moovel. Aktuell ist er u.a. Beirat des Bundesverkehrsministeriums für "Strategische Leitlinien des ÖPNVS in Deutschland", der IAA Mobility in München und des Reallabors Radbahn in Berlin. Seit 2019 veröffentlicht er in Kooperation mit dem Zukunftsinstitut den Mobility Report. Er arbeitet mit diversen Akteuren der Mobilitätswelt im In- und Ausland zusammen: Mit der Fahrradbranche, ÖPNV-Unternehmen, der Automobilindustrie sowie Städten und Gemeinden.

 

IN IHREM MOBILITYREPORT 2022 ZÄHLEN SIE SOGENANNTE ENERGY PLACES ZU DEN AKTUELLEN MOBILITY TRENDS. WAS VERSTEHEN SIE DARUNTER?

Ein Energy Place ist der Raum, in dem Energie zur Verfügung gestellt wird. Dieser Raum ist in Zukunft sehr viel mehr als nur eine Tankstelle, weil wir dann keine fossilen Brennstoffe mehr für die Mobilität brauchen, sondern die Batterie in jeder Dimension der Mobilitäts- und Energiewende gewonnen haben wird. Deswegen werden Schnellladestationen an Energy Places eine wichtige Rolle spielen. Das sieht man auch an der Zukunftsmatrix, die wir im Zukunftsinstitut entwickelt haben.

 

WIE SIEHT DIESE ZUKUNFTSMATRIX AUS?

Die Zukunftsmatrix ist in vier verschiedene Szenarien unterteilt: Es wird viel mehr große Ladeparks für das schnelle Laden zwischendurch geben als heute. Fossile Brennstoffe spielen an diesen Orten keine Rolle mehr. Daneben wird die klassische Tankstelle solange weiter existieren, bis die letzten Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor die Straßen verlassen haben. Aber auch an der Tankstelle 2.0 stehen Lademöglichkeiten zur Verfügung. Der dritte Bereich sind sogenannte Mobility Hubs, die uns den Zugang zu Mobilität in jeglicher Form ermöglichen. Neben den Ladestationen gibt es Sharing-Angebote, Möglichkeiten zum Austausch von Batterien sowie ein Convenience-Angebot und vielleicht sogar Co-Working-Spaces. Das vierte Szenario haben wir Kiosk-Tankstellen genannt. Hier kann zwar getankt werden, aber vor allem entwickeln sich diese Stationen zu sozialen Orten mit Späti, Bistro, Waschanlage und Zwischen- und Abhollager für Pakete.

VON WELCHEN ZEITRÄUMEN SPRECHEN WIR BEI DIESER ENTWICKLUNG?

Das findet in Teilen heute schon statt. Es gibt bereits erste große Ladeparks und in einigen Städten entwickelten sich Tankstellen in Richtung Mobility Hub mit verschiedenen Angeboten über die Energieversorgung hinaus. Und mit der Ausweitung der Elektromobilität wird das in den kommenden Jahren zunehmen.

 

WIE SOLLTEN TANKSTELLENBETREIBER MIT DIESER ENTWICKLUNG UMGEHEN?

Tankstellenbetreiber sollten sehr sorgfältig beobachten, wie die Ausbreitung der Elektromobilität in Form von öffentlichen oder privaten Lademöglichkeiten in ihrem ganz spezifischen Umfeld stattfindet. Es kann sein, dass sich Betreiber mit Energieversorgung gar nicht mehr auseinandersetzen werden, weil bereits eine sehr gute Verfügbarkeit gewährleistet ist. Es kann aber auch sein, dass sich die Tankstelle in einem Umfeld befindet, in dem bisher wenig passiert ist und sie weiterhin erfolgreich fossile Brennstoffe in Kombination mit Strom zur Verfügung stellen können. Da kann man nicht generell Land und Stadt unterscheiden, sondern man muss sich die entsprechenden Innovationsgeschwindigkeiten
vor Ort angucken.

 

WELCHE ROLLE WIRD DAS THEMA CAR SHARING AN TANKSTELLEN SPIELEN?

Wir werden in Zukunft viel mehr Sharing-Angebote sehen als heute, sogar sehr viel mehr. Die Mobilität bietet dafür sehr gute und einfach umzusetzende Beispiele. Egal ob für Auto, Moped, Scooter oder Fahrräder, es gibt immer mehr Nutzer und Anbieter. Als Tankstellenbetreiber in der eigenen Region ein eigenes Sharing-Angebot zu entwickeln, wird wohl eher eine Nische bleiben. Sinnvoller könnte es sein, mit einem der großen Anbieter zusammenzuarbeiten und die Tankstelle beispielsweise als Raum für Sharing-Angebote zur Verfügung zu stellen.

 

WIE WIRD SICH DER BAHNVERKEHR UND DER ÖPNV VERÄNDERN?

Die Bahn und der ÖPNV reüssieren. Die Zukunft der Luftfahrt ist dagegen angesichts der Klimakrise und Flugscham nicht nur bei der jungen Generation mehr als ungewiss. Deswegen sind die Bahnhöfe jeglicher Couleur natürlich prädestiniert für neue Mobilitätsangebote, die Flughäfen haben es etwas schwieriger. Sie müssen ihre Rolle im zukünftigen Mobilitätssystem noch finden.

 

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